MINT Nachwuchsbarometer 2024: Mit kollaborativen Methoden und KI die MINT-Bildung stärken
von Harro Rhenius
„Wir müssen uns mehr um die Mathematik kümmern“, fordert deshalb Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) und Studienleiter des MINT Nachwuchsbarometers: „Eine Untersuchung von Prüfungsaufgaben aus dem Mathematikunterricht hat gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler bei 75 Prozent der Aufgaben keinen Bezug zu ihrem Alltag oder ihrem Umfeld herstellen konnten. Ein stärkerer Lebensweltbezug, eine bessere Verknüpfung der Lerninhalte über die Jahrgangsstufen hinweg oder eine größere Orientierung des Unterrichts an den Lernständen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler sind Qualitätsmerkmale, die wir im Mathematikunterricht unbedingt konsequenter durchsetzen müssen.“
Im Interview mit den LN vom 17.05.2024 äußert sich Prof. Olaf Köller wie folgt:"
Olaf Köller: Laut MINT-Nachwuchsbarometer 2024 haben die mathematischen Leistungen bei der Gruppe der 15-Jährigen zwischen 2012 und 2022 stark abgenommen. Das entspricht einem Kompetenzrückstand von mehr als einem Schuljahr. Man kann sagen, dass Neuntklässler vor zehn Jahren Gleichaltrigen von heute mit ihrem Wissen anderthalb Jahre voraus waren. Der Anteil der besonders leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler ist in diesem Zeitraum ebenfalls gestiegen: von rund 17 Prozent in 2012 auf etwa 29 Prozent in 2022. Gleichzeitig hat sich der Anteil an leistungsstarken Schülerinnen und Schülern halbiert und umfasst 2022 noch knapp neun Prozent. Gleichzeitig sind die Anforderungen an Schüler gesunken. Was vor zehn Jahren noch mit der Note 3 oder 4 bewertet wurde, wird heute mit einer 2 bewertet.
LN: Woran liegt es, dass die Leistungen schlechter werden?
Olaf Köller: Es fehlt unter anderem der Bezug zur Lebensrealität. Eine Untersuchung von Prüfungsaufgaben aus dem Mathematikunterricht hat gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler bei 75 Prozent der Aufgaben keinen Bezug zu ihrem Alltag oder ihrem Umfeld herstellen konnten. Ein stärkerer Lebensweltbezug, eine bessere Verknüpfung der Lerninhalte über die Jahrgangsstufen hinweg oder eine größere Orientierung des Unterrichts an den Lernständen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler sind Qualitätsmerkmale, die wir im Mathematikunterricht unbedingt konsequenter durchsetzen müssen.
Wie müsste der Unterricht aussehen, damit die Schülerinnen und Schüler mehr Bezug zu ihrem Alltag haben?
Die Aufgaben müssen sich mit Themen befassen, die die Schülerinnen und Schüler betreffen und interessieren. Es könnten beispielsweise Simulationen errechnet werden, wie sich der Klimawandel auswirkt oder welchen Einfluss Windkraftanlagen auf die Stromversorgung nehmen können. Auch die Zinsrechnung lässt sich mit starkem Praxisbezug vermitteln, indem mit der richtigen Aufgabenstellung aufgezeigt wird, wie viel Geld gespart werden kann. Mit solchen konkreten Beispielen wird den Schülerinnen und Schülern bewusst, warum sie sich mit Mathe befassen sollen und was sie davon haben, wenn sie die Rechenarten beherrschen.
LN: Wie gelangen solche Aufgaben in den Unterricht. Müssen dafür die Lehrpläne geändert werden?
Olaf Köller: Die existierenden Lehrpläne geben das längst her. Die Frage ist, ob sich die Lehrkräfte trauen, solche Aufgaben in den Unterricht aufzunehmen. Die Tradition zeigt, dass sich Lehrkräfte eher schwertun, ihren Unterricht umzubauen.
Ein praxisnaher Bezug bedeutet auch, dass es Überschneidungen mit anderen Fächern geben kann. Wäre es eine Möglichkeit, MINT-Fächer zusammenzulegen? Sollten Mathe und Informatik nicht besser gemeinsam unterrichtet werden und Biologie, Chemie und Physik ein Fach werden?
Diese Diskussion gibt es immer wieder. Andere Länder haben diese integrierten Lehrpläne bereits. Das kann in der Sekundarstufe I noch funktionieren. Aber ab der Oberstufe sollten die Fächer einzeln unterrichtet werden, um Schwerpunkte setzen zu können. Zudem setzt eine Zusammenlegung voraus, dass das es Lehrkräfte gibt, die alle Fächer unterrichten können."
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